Der Komponist Gerald Futscher
Gerald Futscher studierte am Landeskonservatorium Feldkirch Klavier, anschließend Fagott am Konservatorium der Stadt Wien und Philosophie an der Universität Wien. Er unterrichtete in Mödling und Brunn am Gebirge bevor er sich letztes Jahr wieder in Vorarlberg niedergelassen hat. Er ist 35 Jahre alt und lebt als Hausmann und Komponist in Götzis. Silvia Thurner führte mit ihm das folgende Gespräch über seine Kompositionsweise, seine Vorliebe für skurrile Instrumente und seine derzeitigen Arbeiten.
Komponierst Du schon lange, wie bist Du Komponist geworden?
Ich habe erst im Jahr 1990 wieder angefangen, zu komponieren. Alles vorherige hatte ich über Bord geworfen, weil mit meinem kompositorischen Ansatz unzufrieden war. Irgendwann habe ich mir gedacht, ich beginne noch mal. In einer traditionellen musikalischen Sprache, intuitiv und einfach habe ich die Musik notiert – und war damit zufrieden. Ich habe gemerkt, daß ich wieder komponieren kann und so habe ich einfach weitergemacht, bis ich feststellte, daß diese Art des Komponierens langweilig wird. Eigentlich bin ich immer noch auf diesem Weg. Meine Kompositionsart ändert sich deshalb von Stück zu Stück.
… Vom kleinen Klanggebilde zum großen Klanggefüge …
Welche Vorstellungen leiten Dich beim Komponieren? Mir gefallen verschlungene Bewegungen in der Musik. Ich konzipierte polyphone Stimmlinien, indem ich von der melodischen Hauptlinie abweiche. Beispielsweise verwende ich eine weite und unziselierte Phrase und kontrastierte sie mit einer Phrase, die mit der ursprünglichen möglichst wenig zu tun hat. Ich assoziiere dann einen harmonischen Aufbau und versuche durch Untergliederungen das musikalische Geschehen in verschiedene Richtungen zu lenken.
Ist Dir die einzelne Tonhöhe wichtig oder stellst Du Dir musikalische Verläufe als einheitliches Gebilde vor?
Die einzelnen Töne sind sehr wichtig, momentan gestalte nämlich vorwiegend die Tonhöhen, während ich den Rhythmus intuitiv behandle. Ich beginne mit ganz kleinen Klanggebilden, aus der Kombination der einzelnen Töne ergeben sich dann die großen melodischen Bögen. Dazu fällt mir ein Beispiel aus der Natur ein: Ein Baum hat im Herbst wunderbar farbige Blätter. Ich habe mir die Frage gestellt, wie ich etwas komponieren kann, das im Gesamteindruck schön ist, wenn ich davon ausgehe, daß jedes kleinste Detail für sich schön ist. Deshalb ist es im Prinzip langweilig, eine Viertelnote zu schreiben, denn ich muß sie ‚verschönern‘. Zum Beispiel, indem ich eine Wechselnote verwende oder Vorschläge setze.
… Lebendige Musik, in der jedes Detail für sich allein funktioniert …
Versuchst Du, einem Ton durch Verzierungen mehr Volumen zu geben?
Nicht unbedingt, der Ton soll nur nicht so nackt dastehen, sondern für sich noch etwas haben. Bei einem lebenden Organismus funktioniert jedes Detail immer wieder für sich. So möchte ich meine Töne bis ins kleinste Glied gestalten. In dieser Art soll meine Musik lebendig sein. Du hast Tabellen von Zwölftonreihen entworfen, gehst aber nicht nach Zahlenordnungen oder im Stile der Zwölftontechnik vor.
Wozu benötigst Du die Reihentabellen?
Die Reihen sind für mich Konstrukte, die ich als Grundmaterial verwende. Ich untersuche die Nähe der einzelnen Klänge zueinander und mache quasi eine Harmonielehre. Ich möchte, daß mein kompositorisches Material einerseits möglichst komplex ist, aber andererseits ein logisch aufgebautes, geschlossenes System beinhaltet. Mehr als zwölf Töne habe ich derzeit noch nicht zur Verfügung, weil meine musikalischen Vorstellungen nicht vierteltönig sind. In diese Richtung könnte sich aber meine kompositorische Arbeit noch entwickeln.
… Dunkle Klangfarben und ausgefallene Instrumente …
Du hast ein Schlagwerkquartett komponiert, welche Intentionen stehen dahinter?
Das Stück wurde in einem Bunker aufgeführt, denn die Veranstaltung stand unter dem Thema Gewalt. Zuerst wollte ich Schienen an der Decke befestigen, von denen Kugeln bis zu den Köpfen der Zuhörer herunterhängen. Mit den Instrumenten sollte der Eingang versperrt werden, um den Leuten den Eindruck zu vermitteln, daß sie eingesperrt sind. Das konnte ich nicht realisieren, deshalb habe ich das Schlagwerkquartett geschrieben. Ich habe Wellen gebaut und rhythmische Figuren verwendet, die vergrößert erklingen, gespiegelt und leicht variiert wurden, sodaß mit der Zeit ein anderer rhythmischer Verlauf daraus hervorgegangen ist. Im Schlagwerkquartett erklingen Sirenen, die wohl programmatisch eingesetzt sind.
Auch andere Kompositionen zeichnen sich durch ein ausgefallenes Instrumentarium aus: Zum Beispiel ein fahrradbetriebenes Wasserklavier, eine Trompete, die unter Wasser gespielt wird oder Fischerblei, das in den Korpus eines Flügels gehängt wird. Erfindest Du gerne solche Instrumente?
Ich habe damit angefangen, weil ich einen Auftrag für eine Klanginstallation erhalten habe, „Lord Nelson“ ist daraus entstanden. Ich würde gerne mehr in diese Richtung machen, bin aber handwerklich nicht sehr begabt, sodaß ich Aufträge vergeben muß.
… Ein Sirenenspiel über eine Tastatur bedienen …
Ein Sirenenspiel aus Holz mit tiefen, dunklen Tönen ist momentan mein Wunschtraum. Sirenen setze ich in meiner Musik immer mehr ein, sie faszinieren mich. Mit Holz wird es leider nicht klappen, aber ich bekomme andere aus Metall.
In „Haarmann“ wird eine Trompete unter Wasser gespielt. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Das ist ein programmatisches Moment dieser Komposition. Man muß wissen, Haarmann war ein Serienmörder, der seine Opfer durch einen Biß in die Kehle getötet hat. Nachdem er die Leichen zerstückelt, das Fleisch verkauft oder gegessen und die Knochen zermahlen hatte, versenkte er die Überreste in einem Fluß. Stell‘ Dir vor, vom Haarmann gibt es sogar einen Kinderreim, der lautet: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir und macht mit seinem Hackebeilchen, Hackefleisch aus dir.“ Mit Stefan Dünser habe ich ausprobiert, wie sich die Tonhöhe verändert, wenn man eine Trompete unter Wasser spielt, verrückte Klangereignisse sind daraus entstanden.
… Ein Klavier, das zersägt wird, jault furchtbar …
Was ist das fahrradbetriebene Wasserklavier?
Ich habe aus einem Flügel die Mechanik herausgesägt, den Flügel an vier Drahtseilen aufgehängt und zur Hälfte in einem Wasserbecken versenkt. Über einen Flaschenzug, der an der Decke befestigt war, stellte ich eine Verbindung von den Hammerwerferkugeln im Korpus des Flügels zum Hinterrad eines Fahrrades, auf dessen Felgen das Seil aufgespult wurde, her. Durch das Treten konnte das Seil abgespult und die Kugeln zum Pendeln gebracht werden. Die Saiten des Flügels wurden quasi von den Kugeln bespielt. Das Pendeln bewirkte sehr schöne Klangeffekte, durch Rutscher über die Saiten sind dumpfe Unterwassertöne entstanden.
Wie hast Du die Musik auf dem Tonband hergestellt?
Dafür habe ich den Nachklang der Obertöne nach dem Anschlagen eines Akkordes am Klavier aufgezeichnet und mit dem Computer verstärkt. Diese Klänge sind in sich sehr beweglich, darin liegt ihr besonderer Reiz. Ich habe sie als kompositorisches Grundmaterial verwendet.
Du hast für diese Komposition eine sehr schöne graphische Notation angefertigt. Stellst Du darin die Assoziationen, die du mit den Klängen verbunden hast, dar?
In dieser Partitur sind die zeitlichen und räumlichen Abläufe, die quadrophonisch wiedergegeben werden sollen, notiert. Die horizontale Zeitlinie ist gleichzeitig auch die Raumachse. Links von der Achse notiertes Passagen, soll der Hörer von links wahrnehmen, ein notierter Kreis zeigt an, daß die Klänge im Raum durch die Lautsprecher rotieren. Die Notation zum „Lord Nelson“ ist eine Klangchoreographie.
… Eine lustig, frivole Oper schreiben …
Was komponierst Du zur Zeit?
Es entsteht eine neue Oper. Der Text ist von Pierre Louys, einem Freund Debussys, und heißt „König Pausolos“. Es ist eine amüsante, erotische Geschichte mit einem orientalisch angehauchten Sujet. Die Handlung spielt in einem Mittelmeerstaat, wo alle hübsch und jung sind und sich der König wünscht, daß alle Menschen nackt sind. Nur die runzeligen Alten sollten Kleider tragen. Die eigene Tochter hingegen wird eingesperrt, weil sie die schönste ist und der König es nicht ertragen kann, daß sie vor allen anderen nackt ist. Der König hat drei Tugenden: Faulheit, Gerechtigkeitssinn und Wollust. Er besitzt einen Harem mit 366 Frauen. Eine große Schwäche plagt den König, denn er kann sich nicht entscheiden, wenn man von ihm Entscheidungen verlangt, verfällt er in absolute Trägheit. Er ist der festen Überzeugung, daß man nur lange genug warten müsse, denn jedes Problem löst sich auf die eine oder andere Art von selbst. Die Tochter wird entführt. Der Haremswächter, ein übler Kerl, will sofort die Verfolgung aufnehmen, aber der König kann sich nicht dazu entschließen. Dann entsteht ein Verwechslungsspiel. Nicht ein Mann hat die Tochter entführt, sondern eine Frau. Das Stück ist frivol, lustig und leicht sowie mit vielen bunten Bildern versehen.
… Schostakowitsch als Vorbild …
Du organisierst die Töne nach einer Zwölftonordnung, das impliziert eine Vorliebe für diese Kompositionstechnik oder den Serialismus. Wie stehst Du dazu?
Kompositionen aus der intellektuellen Ecke, die seriell konzipierten Werke zähle ich dazu, sind Wichtigtuerei. Die Komponisten legen den Zuhörern nahe, daß sie allen anderen weit voraus seien, aber im Grunde genommen suchen sie krampfhaft nach irgendwelchen Möglichkeiten, um diesen Eindruck zu vermitteln. Die serialistische Kompositionstechnik, in der alle Parameter genau organisiert sind, ist mir zu streng und unmenschlich. Mein Vorbild ist die Musik von Schostakowitsch, der mit vielgestaltigen Ausdrucksmittel den Wechsel der Gefühle gestaltet. Diese Musik erlebe ich emotional.